Austin Big Seven – Restaurierung eines Siebenschläfers

Ob der kompakte Saloon das Big in seinem Namen zu Recht führt, ist allein eine Frage des Standpunktes. Für Dietrich Nissen aus Augaard war der Brite der Größte.

Nein, nie wollte er ihn verkaufen. Das weiß Dietrich Nissen. Bis 1960 soll sein Big Seven das Kennzeichen von Odense, dem Hauptort der dänischen Insel Fünen, getragen haben. Dann hatte ihn der erste Besitzer, ein Arzt, abgemeldet und nicht mehr bewegt.

Dietrich Nissen blickt durch die Windschutzscheibe. «Hier sind ein paar tiefe Kratzer im Glas», sagt der 65-jährige, der den Big Seven nach dem Tod des Arztes 1984 kaufte. Der Austin hat, wie Üblich in den dreißiger Jahren, weder Heizung noch Gebläse. «Die Dame des Hauses muss einen Diamantring getragen haben, als sie die beschlagenen Scheiben frei wischte», vermutet Nissen, der im schleswig-holsteinischen Augaard lebt, nahe an der dänischen Grenze. Die verkratzte Scheibe hat er nach der Restaurierung wieder eingebaut. Sie besitzt mehr Charme als die makellose Oberfläche eines neuen Glases, weil sie die Ring-Episode weiter erzählt.

Oldtimer auf Waldweg Oldtimer von hinten

Der kompakte Engländer, den Austin 1937 als größeren Bruder an die Seite des legendären Volks-Wagens Seven gestellt hatte, zeigte sich weh dem Kauf in relativ gutem Zustand. Nissen konnte ihn zwar nicht mehr zum Fahren überreden, Rost fand er aber nur an den Rändern E von Türen und Hauben, und die Mechanik war komplett - ein Auto, das im Zeitenschlaf vor sich hin dämmerte. Dietrich Nissen, gelernter Schiffsbauer und späterer Berufsfeuerwehrmann trennte die vergammelten Bleche heraus und fertigte neue an.

Vor über 30 Jahren hatte sich das Verhältnis des Norddeutschen zum Fahren alter Autos gewandelt: Was einst die Geldbörse als Sparmaßnahme vorschrieb, wandelte sich langsam zum Hobby. 1970 hob Nissen einen Club mit aus der Taufe, weil er sich geärgert hatte, dass der Deutsche Automobil- und Veteranen Club, vier Jahre zuvor gegründet, seinen Mercedes 170 aus dem Jahr 1948 nicht zulassen wollte – Nachkriegsautos seien keine Veteranen und somit unerwünscht, hörte er.

Windschutzscheibe nach aussen geklappt Türgriffe Detail

Dabei ist der kleine Austin für einen Vorkriegs-Fan wie Nissen bereits ein Grenzfall. Denn die Karosserie des Viertürers trägt sich bereits selbst. Unter den Türen läuft ein stabilisierender Hohlraum, eine Konstruktion, die der Restaurator nicht schätzt. «Das Arbeiten an einem Ponton-Fahrzeug mit seinen zahllosen Hohlräumen würde mir keinen Spaß machen», sagt er. «Ich liebe solide Rahmen. Und mechanische Bremsen!» Die Hydraulik mit leckenden Bremszylindern und teuren, aufwendigen Teilen ist ihm bei Klassikern ein Gräuel. Oldtimer-Pionier Nissen ist zudem ein Gegner des Sandstrahlens. Trotzdem hatte er es bei der Restauration des Big Seven probiert. Alle vier Türen, die nur am Rand löchrig waren, kamen wellig zurück. «Nie wieder», schwört Nissen, der sie mit neuem Blech beplanken musste. Den Rahmen, beim Big Seven eine Konstruktion aus abgedeckten U-Profilen, hat der Restaurator dann mit der Drahtbürste entrostet: «Das Blech hat schon sechzig Jahre gehalten, obwohl die Lacke viel schlechter waren als die heutigen Produkte», sagt Nissen. In der Tat: Es gab im Rahmen nicht eine Stelle zu schweißen. Sogar an die Lackarbeiten wagte sich Dietrich Nissen. «Ich machte fast alles selbst. Ein Handwerker kann an mir nichts verdienen», sagt der Rentner. Nur einen Lackierer bat er beim Decklack um Hilfe, weil er mit dem eigenen Ergebnissen nicht zufrieden war. Ärger gab es trotzdem, weil der die Saloon-Karosserie fast ein Dreivierteljahr unberührt stehen ließ.

Blick ins Innere vor der Renovation Blick ins Innere nach der Renovation

Das kleine, 900 Kubikzentimeter fassende Vierzylinder-Triebwerk stellte den passionierten Schrauber nicht vor große Probleme. Big Seven-Kolben hatte Dietrich Nissen auf einem dänischen Teilemarkt finden können, ebenso einen neuen Verteiler und den Zündkontakt. Auch einen zweiten Vergaser stöberte der Big Seven-Restaurator im Nachbarland auf – für ein paar Mark. «Ich bin immer mit einem Rucksack voller alter Teile über die Märkte gezogen», erzählt Nissen. Der direkte Vergleich half ihm, aus dem immensen Angebot die wenigen passenden Stücke zu fischen. Weil der Big Seven einen größeren Motor als der populärere Seven hat, passt kaum ein Teil des weit verbreiteten kleinen Austin. Mit der mechanischen Unbeirrbarkeit einer alten Nähmaschine liefert das Triebwerk heute rund 25 PS über eine geteilte Kardanwelle an die Hinterachse. Dabei konnte im Inneren des Vierzylinders vieles beim Alten bleiben: Die Ventile hat Nissen nur neu eingeschliffen, aber nicht ausgetauscht, die Nockenwelle ist nachbearbeitet und neu gelagert.

Koffer wird mit Lederriemen hinten festgezurrt

Auch die Kurbelwelle dreht sich in neuen Lagerschalen, die Nissen ebenfalls in Dänemark gefunden hat. «Ich bin froh, dass der Motor keine Gusslager mehr hat – der Aufwand wäre viel größer gewesen», sagt der Vorkriegs-Spezialist, der auch für die DEUVET als Prüfer tätig ist. Den größten Zeiteinsatz forderte der untere Kühlwasserstutzen. Nissen musste ihn neu gießen lassen. Als Muster konnte nur das zerfressene und gebrochene Original dienen. Es folgte aufwendige Detailarbeit: Die Nachfertigung musste Nissen planen, bohren, fräsen und schleifen, bevor sie passte und funktionierte. Keine Probleme bereitete dagegen das Getriebe, in dem sich heute noch die Zahnräder drehen, die bei Austin 1938 den Weg in das Gussgehäuse gefunden haben. Dritter und vierter Gang sind sogar gut synchronisiert, damals durchaus keine Selbstverständlichkeit in der Mittelklasse, in der Austin mit dem Big Seven um Kunden kämpfte. Immer noch schaltet sich der kleine Viersitzer sehr willig. Die schnellen Anschlüsse nach oben helfen beim Beschleunigen enorm. Wenige Punkte des Briten sind heute nicht mehr original, etwa der Tank: Das verrostete Teil war nicht mehr zu retten, Ersatz gab es nicht. Der Restaurator schweißte einen neuen Benzinbehälter etwas größer als zuvor: Die rund 13 Liter, die der serienmäßige Tank fasste, schränkten seine Reichweite sehr ein. Von außen zeigt sich der Big Seven nahezu so, wie er vor 62 Jahren das Austin-Werk verlassen hat. Der Spiegel ist ein Zugeständnis an den Verkehr von heute, ebenso die Blinker, die Nissen montiert hat, obwohl die Winker wieder ihre Vier-Watt-Birnen im akkuraten Rhythmus blinzeln lassen. Die Türgriffe zählten, weil sie auch an populäreren Modellen zu finden waren, zu den wenigen Teilen, die der Restaurator als Nachfertigung kaufen konnte. Den stolzen Preis musste er vorab begleischen, erinnert sich Nissen, der dennoch fast ein Jahr auf die Sendung aus England wartete - sein Geld hatte er schon verloren geglaubt. «Bei den preiswerten Autos sind die Teilekosten immer ein Problem», sagt er, der nicht nur bereits drei Ford A restauriert hat, sondern auch Werkstatt Erfahrung mit noblen Modellen wie einem Rolls-Royce HP 20/25 besitzt. Doch es gibt noch eine andere Ebene, jenseits des Geldes. Erst durch sie behält ein Auto wie der Big Seven sein Gesicht. Sie zu erforschen, kann noch spannender sein, als historische Technik zu erleben. Dietrich Nissen zeigt auf Löcher und Dellen in der Spritzwand. «Der Arzt war im Widerstand aktiv», hat er erfahren, «deswegen haben ihn die Deutschen im Krieg beschossen.» Der Austin durfte seine Spuren behalten. Sie erzählen noch im neuen Jahrtausend, warum der dänische Arzt aus Odense sich nie von seinem Big Seven trennen wollte. Er war ein Teil seines Lebens.

Text aus Motor Klassik 9/2000 (S. 117-121) von Thomas Wirth, Fotos von Reinhard Schmid

 

Spezialist Jürgen Drodofsky über den Austin Big Seven:
«Der Sport war Mord»

Nur zwei Jahre hat Austin den Big Seven gebaut. Doch das ist nicht der einzige Grund, warum der große Bruder des Austin Seven heute zwar nicht zu den gesuchtesten, dafür zu den seltensten Briten ihrer Klasse zählen. "Noch rund 250 Stück wird es weltweit geben", schützt Jürgen Drodofsky, Big Seven Exoperte im Austin Seven Club Deutschland. Ursache für das spurlose Verschwinden der zwei- und viertürigen Limousinen war die Vorliebe der Briten zu Hill Climbs. Bei den materialmordenden Trials galten die soliden Hinterachs- konstruktionen der zweiten Big Seven Serie ab 1938 als Nonplusultra: "Wegen ihrer heavy axle sind viele Big Seven geschlachtet worden, weiß Drodofsky. Der Rest der Autos wurde verschrottet, was die heutigen Ersazteilprobleme erklärt. Zudem werden nur sehr wenige Teile nachgefertigt: Abgescherte Steckachsen beispielweise sind heute nicht mehr zu ersetzen.

Die typischen Schwachstellen: Unter der selbsttragenden Karosserie versteckt sich ein Hilfsrahmen aus Holz. Wenn er sich mit Wasser vollgesogen hat, kann das darüberliegende Blech nicht langeWiderstand gegen die einsetzende Korrosion leisten. Mitunter können Probleme an der A-Säule auftreten, die Türen und Hauben weisen Rost meist an den Kanten auf. Die Mechanik ist hingegen ausgesprochen robust. Schuld am Ölen ist die mangelhafte Ölrücklaufschnecke am Kurbelwellenende. Ersatzteile sind hingegen Mangelware.
 

Fahrzeugdaten

Baujahr: 1938
Präsentationsjahr: 1937
Neupreis: 145 Pfund
Motor:wassergekühlter Vierzylinder Reihenmotor
Hubraum: 900 cm3
Leistung: 25 PS bei 4000/min
Höchstgeschwindigkeit: 96 km/h
 

Restaurierung

Restaurierung Kaufjahr/-ort: 1984 in Odense, Dänemark
Kaufzustand: komplett, nicht mehr fahrbereit
Vorgeschichte: Der Austin war 1938 vermutlich an einen Arzt in Odense ausgeliefert worden, der ihn gegen 1960 stillegte. Nissen ist der zweite Besitzer, der mit dem Austin fährt.
Restaurierungsumfang: komplett zerlegt und neu aufgebaut, Motor überholt
Probleme: Beulen im Blech nach Sandstrahlen
Eigenleistung: über 1000 Stunden
Restaurierungsdauer: fast zwei Jahre
Ersatzteillieferanten: Veteranenmärkte in Dänemark
Ersatzteilkosten: rund 8000 Mark
Zustandsnote nach Restaurierung: 2
Marktwert: rund 20 000 Mark

 

 

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